Musik & Bildung – Ausgabe 4.17 Leseprobe

Happy Birthday, Sgt. Pepper!

Hans Jünger

Vor 50 Jahren erreichte die kurze, aber einzigartige Karriere der Beatles mit der Veröffentlichung ihres achten Albums ihren Höhepunkt – ein guter Anlass, neu darüber nachzudenken, was man am Beispiel der „Fab Four“ lernen kann.

Für die Jugendlichen von heute sind Love Me Do und Let It Be die Musik ihrer Großeltern. Anders als Bach, Beethoven und Brahms, die regelmäßig in Konzertsälen und Radioprogrammen zu hören sind, spielen die Beatles im heutigen Musikleben keine nennenswerte Rolle mehr. Dennoch sind sie ein lohnender Unterrichtsgegenstand. Nicht zuletzt deswegen, weil es sich bei ihnen um ein wichtiges und folgenreiches Kapitel der Musikgeschichte handelt – ihre Bedeutung für die Weiterentwicklung der Popmusik ist kaum zu überschätzen und Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band ist in einer Expertenumfrage der US-Zeitschrift Rolling Stone immerhin zum „greatest album of all time“ gewählt worden.

Es gibt aber noch einen anderen Grund: Bestimmte Phänomene im Bereich der Popmusik lassen sich nirgends so gut studieren wie bei dieser Band.
  Ungewöhnlich gut dokumentiert ist z. B. die Arbeitsweise der Beatles. Zahlreiche Filmaufnahmen von der Studioarbeit, inzwischen veröffentlichte Outtakes und Berichte von Zeitzeugen ermöglichen einen vergleichsweise tiefen Einblick in den Entstehungsprozess der Beatles- Songs. Dabei wird eine Art der Kooperation sichtbar, die vor den 1960er-Jahren unüblich war.
  Bis heute unübertroffen ist der Publikumserfolg der Beatles. Das gilt nicht nur für die Absatzzahlen (mit mehr als einer Milliarde verkaufter Tonträger ist die Band Spitzenreiter – vor Elvis Presley und Michael Jackson). Auch die Verhaltensweisen der Beatles-Fans nahmen bis dahin ungekannte Formen an.
  Erstaunlich ist schließlich auch die musikalische Entwicklung der Beatles. Innerhalb eines Jahrzehnts entfaltete sich ihre Musik zu einer stilistischen Breite, die auch heute noch ihresgleichen sucht. Es gibt kaum eine Spielart der späteren Rockmusik, für die sich nicht auf einem Beatles-Album ein Vorläufer finden ließe. Besonderheiten wie diese machen die Beatles zu einem ergiebigen Studienobjekt. Wenn es im Musikunterricht darum gehen soll, wie eine Band arbeitet, was Fans tun oder wie sich Musik entwickelt, dann findet man hier jede Menge Anschauungsmaterial. Wie man dieses nutzen kann, sollen die folgenden drei Unterrichtsvorschläge zeigen. Beim ersten geht es um einen zentralen Aspekt der Bandarbeit: das gemeinsame Komponieren; beim zweiten sollen Zeitzeugen über die Beatlemania befragt werden; beim dritten wird am Beispiel der Beatles-Karriere Musikgeschichte erfahrbar gemacht. Man kann die Materialien in eine größere Unterrichtseinheit über die Beatles einbetten; genauso sinnvoll ist es aber, sie einzeln zur Beschäftigung mit dem jeweiligen Aspekt zu verwenden.

 


Bandarbeit: Kollektives Komponieren

Bis zu den 1960er Jahren waren Popmusikstars Einzelpersonen. Frank Sinatra, Chuck Berry und Elvis Presley wurden zwar von Bands begleitet, doch die waren auswechselbar. Das änderte sich mit der Beatmusik. Die vier Beatles hatten keinen Chef, sondern waren gleichberechtigt – die Band war der Star.
Das galt auch für das Komponieren. Als die Coverversionen der ersten Jahre zunehmend durch Eigenkompositionen ersetzt wurden, waren alle vier Beatles als Komponisten tätig. Besonders produktiv waren John Lennon und Paul McCartney, aber auch George Harrison und gelegentlich Ringo Starr steuerten erfolgreiche Titel bei. Zahlreiche Songs sind sogar kollektiv komponiert und (unter Mitarbeit des Produzenten George Martin) arrangiert worden. Auf den Tonbändern der Twickenham-Studio-Sessions von 1969 kann man hören, wie die Band die musikalischen Ideen ihrer Mitglieder – teils zuvor entwickelt, teils erst vor Ort entstanden – nach und nach zu gemeinsamen Stücken zusammensetzt (am eindrucksvollsten bei Get Back).
Dieses Zusammensetzen (lateinisch „componere“) kann man die SchülerInnen nachspielen lassen.

AB 1 (Komponieren heißt Zusammensetzen) ist ein Puzzle. Es gibt vier Melodiepartikel und vier Akkordfolgen vor, die sich auf verschiedene Weise zu einem Song kombinieren lassen. Die SchülerInnen sollen in kleinen Gruppen (zu vier bis sechs) mit Melodie-, Akkord- und Bassinstrumenten experimentieren und sich für eine Version entscheiden.
Bei der Präsentation sollte man die ästhetischen Qualitäten der verschiedenen Lösungen thematisieren. Wenn etwas „komisch“ klingt, kann das an einer vertikalen Unverträglichkeit liegen (die Begleitung passt nicht zur Melodie) oder an einem Mangel an horizontaler Schlüssigkeit (wenn das Stück z. B. auf der Dominante endet).
Die Puzzle-Teile sind aus den ersten acht Takten eines Beatles-Songs gewonnen worden. In der richtigen Reihenfolge angeordnet (D/1 – B/3 – C/2 – A/4) ergibt sich eine vereinfachte Fassung von Hey Jude (1968). Es bietet sich deshalb an, die Schüler-Versionen mit diesem Original zu vergleichen, entweder mit Hilfe einer Aufnahme des Songs oder mit Hilfe des Arrangements (HB / AB 3 auf der CD zum Heft).

 


Beatlemania: Interviews mit Zeitzeugen

Bereits 1966 (ein Jahr vor der Veröffentlichung von Sgt. Pepper) behauptete John Lennon in einem Interview: „We‘re more popular than Jesus now“. Konservative Christen in den USA waren empört, doch unbestreitbar hatte die Begeisterung für die Beatles Dimensionen angenommen, die man vorher nicht gekannt hatte und die die Presse von Massenhysterie und „Beatlemania“ sprechen ließ. Zahllose männliche Teenager ließen sich Pilzkopffrisuren wachsen und ahmten das witzige und respektlose Verhalten der Beatles nach, die Mädchen sammelten Beatles-Devotionalien und träumten davon, einen der vier zu heiraten, bei Auftritten der Beatles legten Menschenaufläufe den Verkehr lahm und das Kreischen weiblicher Fans wurde so laut, dass die Beatles schließlich auf Live-Auftritte verzichteten. Die Medien – vor allem das noch relativ junge Fernsehen – griffen diese Begeisterung gerne auf und verstärkten sie dadurch noch. Die Erwachsenenwelt reagierte alarmiert auf diese Vorboten der antiautoritären Bewegung.
Einen ersten Eindruck vom „Beatles-Fieber“ vermitteln Filmaufnahmen, wie man sie auf YouTube findet. Tiefer in den Zeitgeist der 1960er-Jahre kann man durch Interviews mit Zeitzeugen eindringen.

AB 2 (Erinnerungen an die 1960er Jahre) enthält zunächst Zitate aus Interviews, die vor einigen Jahren mit ehemaligen Beatles-Fans in den USA durchgeführt wurden. Dann leitet es SchülerInnen an, selbst Personen zwischen 60 und 80 Jahren nach ihren Erinnerungen zu befragen. Je nach Alter und Vorerfahrung der Lerngruppe wird es sinnvoll sein, die Kontaktaufnahme mit den Interviewpartnern vorzubesprechen, das Interview im Rollenspiel zu üben und bei Aufnahme und Auswertung zu helfen. In jedem Fall darf der Schritt von der damaligen Beatles-Begeisterung zur Reflexion des eigenen Fan-Verhaltens der SchülerInnen nicht fehlen.


Entwicklung: Vom Beat zum Rock

1960 traten die Beatles ihr erstes Engagement in Hamburg an, 1970 gaben sie ihre Trennung bekannt. In der kurzen Zeit dazwischen veränderte sich ihre Musik so dramatisch, dass sich an ihr exemplarisch studieren lässt, wie die stilistische Entwicklung von Popmusik vor sich geht. Der Weg führte zunächst von der handfesten Beatmusik auf Please Please Me (1963) zur opulenten Welt von Revolver (1966) und Sgt. Pepper (1967); von Album zu Album setzten die Beatles mehr musikalische Mittel ein: Ragtime und Walzer, Piccolotrompete und Sitar, psychedelische Sounds und avantgardistische Tonband-Collagen. Mit Let It Be (1970) machten sie dann den Versuch, zu ihren Wurzeln zurückzukehren, auf instrumentalen und tontechnischen Aufwand zu verzichten und wieder einfachen Gitarrenrock zu spielen. Interessant und aufschlussreich ist aber auch, wie die frühen Beatles auf vorhandener Musik aufbauten – auf Rock‘n‘Roll von Chuck Berry, Skiffle von Lonnie Donegan und auf dem Mersey Beat der Liverpooler Szene – und wie andererseits jüngere Bands, z. B. Pink Floyd (gegründet 1965) oder Deep Purple (gegründet 1968), an den psychedelischen oder Hardrock-Erfindungen der späten Beatles anknüpften.
„Die Geschichte der Beatles“ (AB 4 auf CD-ROM) lässt die SchülerInnen den Weg von der unmittelbaren Vorgeschichte der Beatles bis zum Beginn der Nach-Beatles-Ära nachvollziehen. Es handelt sich wieder um ein Puzzle: Bilder und Musikbeispiele sollen einander zugeordnet und in die richtige Reihenfolge gebracht werden.
Die Hörbeispiele HB 3–10 (CD zum Heft) sind jeweils etwa 30 Sekunden lang, so dass man sie den SchülerInnen während der Bearbeitung der Zuordnungsaufgabe mehrfach vorspielen kann. Es handelt sich um Ausschnitte aus folgenden Songs:
  HB 4: Yesterday (5. Beatles-Album Help! 1965; Text, Musik und Gesang: Paul McCartney; akustische Gitarre und Streichquartett)
  HB 5: A Day In The Life (8. Beatles-Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band 1967; Text, Musik und Gesang: John Lennon & Paul McCart- ney; Klavier, akustische Gitarre, Bass, Schlagzeug, Percussion, Sinfonieorchester, tontechnische Effekte)
  HB 6: Echoes (6. Pink Floyd-Album Meddle 1971; Text: Roger Waters, Musik: Roger Waters, Richard Wright, Nick Mason & David Gilmour)
  HB 7: Please Please Me (1. Beatles-Album Please Please Me 1963; Text und Musik: John Lennon, Gesang: John Lennon & Paul McCartney; Gitarre, Bass, Schlagzeug, Mundharmonika)
  HB 8: Get Back (13. Beatles-Album Let It Be 1970; Text, Musik und Gesang: Paul McCartney; E-Piano: Billy Preston; Gitarre, Bass, Schlagzeug)
  HB 9: Back In The U. S. A. (Single 1959; Text, Musik und Gesang: Chuck Berry; Klavier, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Background Vocals)
  HB 10: Ain‘t She Sweet (Aufnahme Hamburg 1961 mit Pete Best am Schlagzeug; Text: Jack Yellen, Musik: Milton Ager, Gesang: John Lennon; Gitarre, Bass, Schlagzeug)

Die Lösung:

  1959: F 4 (Chuck Berry, das große Vorbild der Beatles) – Back In The U. S. A.
  1961: F 2 (die Beatles noch in Lederjacken und mit Pete Best am Schlagzeug) – Ain‘t She Sweet
  1963: F3 (die Beatles mit Pilzköpfen und den von Brian Epstein verordneten schicken Anzü- gen) – Please Please Me
  1965: F 5 (die Beatles nach Verleihung des Order of the British Empire) – Yesterday
  1967: F 7 (die Beatles als Sgt. Pepper’s Band) – A Day In The Life
  1969: F 1 (die Beatles kurz vor der Trennung mit sehr individuellen Outfits) – Get Back
  1971: F 6 (Pink Floyd, Psychedelic Rock Band) – Echoes

Die Beschreibung der beobachteten Veränderungen könnte so aussehen:
  Zuerst geben sich die Beatles rebellisch (Rock‘n‘Roll-Outfit: Lederjacke, Schmalztolle). Dann geben sie sich auf Wunsch ihres Managers ein angepasstes Aussehen (Anzug und Krawatte), tragen aber als Markenzeichen Pilzkopffrisuren. Dann treten sie extravagant auf (Hippie-Outfit: bunte Kleidung, Schnurrbart). Kurz vor der Trennung verzichten sie schließlich auf einheitliche Kleidung (jeder sieht anders aus).
  Zuerst spielen die Beatles in der Standardbesetzung einer Rock‘n‘Roll-Band: einstimmiger Gesang, E-Gitarren, E-Bass und Schlagzeug. Mit zunehmenden finanziellen Möglichkeiten und künstlerischem Anspruch nehmen sie dann zusätzliche Instrumente hinzu (Klavier, Orchesterinstrumente usw.) und nutzen tontechnische Mittel (Klangverfremdung, Mehrspurtechnik). Am Ende kehren sie zur ursprünglichen Besetzung zurück.
  Zuerst sind die Beatles eine Amateurband, die fremde Kompositionen covert. Dann bekommen sie feste Engagements und Plattenverträge und spielen Eigenkompositionen. Schließlich verzichten sie auf Live-Auftritte und arbeiten nur noch im Studio.

Zusammengefasst: Die musikalischen Fähigkeiten der Beatles nehmen zu, daher haben sie mehr Erfolg und können sich mehr leisten, daher wird ihre Musik immer aufwändiger.

 

 

Einzel-Beitrag als PDF erhältlich, inkl. sämtlicher Arbeitsblätter und Noten.